Abschlussfeier der Haupt- und Realschulklassen
Aufgrund von Baumaßnahmen findet die Feier diesmal in der Turnhalle statt. In der Turnhalle? Stellt sich da nicht ein ganz praktisches Problem: Müssen die vielen elegant gestylten jungen Damen und Herren, die heute ihre Zeugnisse empfangen werden, zu ihrer Abendgarderobe womöglich Sneakers tragen, um den Hallenboden zu schonen? Mit einer Kombination aus Sorgfalt und Nonchalance wird diese Krux jedoch überspielt. Und wenn die neue Schulband samt ihrer Vokalistin Emily Neumann den Adele-Song „Make you feel my love“ intoniert, dann mag man dessen Refrain wohlwollend als Sondergenehmigung betrachten, diesen wichtigen Moment angemessen zu zelebrieren – auch im Hinblick auf das Schuhwerk.
Schulleiterin Dr. Anne Brenner knüpft an diesen Kontext an, wenn sie in ihrer Laudatio fragt, was es eigentlich bedeute, sich mit seinem Abschlusszeugnis und seinen guten Leistungen „sehen lassen“ zu können. Natürlich könne man zunächst einmal einfach nur stolz auf dieses Dokument sein, zumal es unterstreiche, dass man sich mit viel Arbeit durch schwere Herausforderungen hindurchgebissen habe. Aber man solle sich auch nicht scheuen, nun tatsächlichVerantwortung zu übernehmen und sich zu beweisen. Dementsprechend appelliert sie an die Absolventen: „Seid stolz auf euch, habt Vertrauen in eure Stärken, freut euch auf das, was vor euch liegt. Zieht los und zeigt es euch und anderen!“
Schulzweigleiter Christian Marchewka als Moderator des Abends gibt seiner Freude darüber Ausdruck, dass nach den „Clefs“ schon wieder eine von Christian Wiechert geleitete Schüler-Band bereitsteht, um Feiern wie dieser einen angemessenen Rahmen zu verleihen. Neben den Vokalistinnen Emily Neumann und Hannah Marchewka sind es heute Abend Jannik Tölle, Josh Kenter, Mattis Kämmer und Christian Wiechert selbst, die das Publikum mit attraktiven Titeln wie „River“ und „Murder on the Dance Floor“ in Begeisterung versetzen.
In diesem Rahmen ehrt Christian Marchewka zunächst die Klassenbesten: Diese Würdigungen gehen an Jennifer Marhold aus der Klasse H9 , an Rabea Schnaubelt aus der R10a mit einem Notendurchschnitt von 1,6 und an Mila Bauer aus der R10b mit der Durchschnittsnote 2,0.
Gemeinsam mit ihrer Klassenkameradin Lia Stockfisch bedankt Jenny sich bei ihrem Klassenlehrer Albert Sonnabend: Die Absolventinnen erinnern dabei an sein Lehrerzeugnis, das zwar eine Zwei im Fach „Seelsorge“ aufweise, in EDV aber durchaus noch ausbaufähig sei. Herr Sonnabend habe bei alledem sein Bestes gegeben, habe den Schülern zugehört, sie getröstet und verteidigt und ihnen immer wieder neue Spitznamen verpasst. Amüsiert habe er sich wiederholt über ihre Fingernägel gezeigt, die er gemeinsam mit Maurice auch schon habe abschneiden wollen.
Erinnerungswürdig seien auch die gemeinsamen Fahrten samt hohem Nutella-Konsum, die nächtlichen Ausflüge, bei denen die Jungen sehr kleinlaut geworden seien, das winterliche Grillen an der Werra mit Gesang und Gitarre – und Lenas Survival-Erfahrung im Koffer auf abschüssiger Bahn. Ein Highlight sei das Abenteuer „Polen-Austausch“ gewesen, vor allem die gemeinsame Kanufahrt.
Gewürdigt wurden auch die Leistungen der anderen Lehrer und deren Lieblingssprüche, so etwa Herrn Marchewkas chronisches Motto „Diese Aufgaben machen wir eben noch zu Ende.“
Hannah Hohmeyer aus der R10a bedankte sich bei den Lehrern für die gute Prüfungsvorbereitung und bat schmunzelnd um Verständnis für die Leistungen in der Mathematik-Prüfung („Sorry, wir dachten, die Aufgaben wären einfacher“). Dafür seien die Physik-Tests umso besser gewesen, da „wir nicht immer die Ersten waren, die sie geschrieben haben.“ Um Nachsicht bat Hannah das Kollegium auch dafür, dass manche Schüler einfach mehr Schlaf brauchten als andere und die Klasse daher selten einmal vollzählig gewesen sei. Akka Blankenburg räumte im Namen der R10b freimütig ein, eine „anstrengende Klasse“ gewesen zu sein, in die die Lehrer offenbar nach dem Motto „Nur die Harten kommen in den Garten“ geschickt worden seien. Nicht nur die Klassenfahrten seien gekennzeichnet gewesen von Prügeleien mit Wetteinsätzen. Gleichwohl habe man auf diesen Fahrten auch „beste Freunde“ gefunden. Bei ihrer Klassenlehrerin Carmen Roßbach, die oft gewiss am Rande der Verzweiflung gestanden habe, bedankte die Klasse sich gebührend mit einer Teekanne samt Beruhigungstee – und mit einem Aschenbecher.
Albert Sonnabend als Klassenlehrer der H9 erinnerte in seiner Abschiedsrede an „die Zeit der Masken“, in der er die Klasse übernommen hatte. Dabei spielte er virtuos mit der übertragenen Bedeutung dieses Begriffs und brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass man den Charakter eines Menschen auf Dauer nicht hinter einer Maske verstecken könne. Typisch für den Charakter seiner Klasse sei ihre große, aber auch schonungslose Ehrlichkeit gewesen. Im Jahrgang 7 habe er bei den Schülern als Gefühlslagen nur Wut und übersteigerte Freude wahrgenommen, „dazwischen nix“. „Die Wahrheit brach einfach so aus euch heraus“, resümierte er diese Erfahrung, gekoppelt mit dem Eindruck eines großen Gerechtigkeitsgefühls: „Diplomatische Zurückhaltung ist dabei nicht eure Sache.“ Auf diesem Wege habe er als Klassenlehrer auch viele neue Wörter kennengelernt – und einen gewissen Pragmatismus, wenn manch ein Schüler im Fach Werken statt Hölzer akkurat zu zersägen sie lieber übers Knie breche. Dieser Pragmatismus habe u.a. auch dazu geführt, dass viele nicht in die Tiefe gelernt, aber dennoch ihren Abschluss geschafft hätten. Die wichtigsten Dinge im Leben aber eigne man ohnehin nicht in der Schule an. In diesem Sinne wolle er seinen Schülern zum Abschluss Catherine Newmans Ratgeber „Alles, was du in der Schule nicht lernst“ schenken. Auf vielen bebilderten Seiten erfahre man dort etwa, wie man eine Toilettenverstopfung beseitige, eine Beileidskarte verfasse, sich angemessen bedanke oder eine Krawatte binde. Die für das Leben so wichtige Bauernschläue hätten seine Schüler noch nicht gelernt. Andererseits blitze in ihrem Handeln doch immer wieder auch das Gute durch: So hätten selbst die größten Hooligans der Klasse einem zitternden Jungen aus Polen wieder ins Kanu geholfen. Das wichtigste Bildungsziel, die Bildung des Herzens, sei offenbar erreicht worden: „Das dürft ihr ruhig öfter mal zeigen!“, ebenso wie den Willen zur Tat und die Fähigkeit, etwas Angefangenes auch zu Ende zu bringen. Obendrein bat der Klassenlehrer seine Eleven darum, die Schuld nicht grundsätzlich bei den anderen zu sehen: „Macht es euch nicht so bequem!“, gab er ihnen mit auf den Weg.
In einer emotional bewegenden Ansprache verwies auch Michael Sielaff als Klassenlehrer der R10a auf die Besonderheit der vergangenen vier Jahre. Anhand der mitgebrachten Mund- und Nasenschutz-Varianten und der einst allgegenwärtigen Packungen mit dem Aufdruck „SARS-Cov-2-Antigen-Test-Kid“ rekapitulierte er die Wucht und die Unberechenbarkeit dieser Zeit samt Distanzunterricht und persönlichen Schicksalsschlägen, die auch ihn selbst ereilt hatten: „Wir mussten lernen, damit zu leben und auch weiterzuleben. Dennoch habt ihr auch in dieser Zeit zu mir gestanden mit Rücksicht - und ihr habt trotz aller Erschwernisse zusammengefunden.“ Den Neuzugängen habe die Klasse stets das Gefühl vermittelt, dass sie willkommen seien. Erfreulicherweise hätten auch alle Teilnehmer den Realschul-Abschluss geschafft, die meisten sogar mit der Qualifikation für die Oberstufe. Legendär seien ihre Ausflüge in die Eishalle gewesen (trotz der vermissten Fotos mit dem Blaustich). Das gelte auch für die Rätsel-Fahrt nach Mühlhausen, den Besuch im Geldmuseum der Bundesbank, die Exkursion ins Gießener Mathematicum und die Woche in Prag samt Geister-Tour und Schwarzlicht-Theater. Als wertvoll erwiesen habe sich dabei die Notwendigkeit, sich in einer fremden Großstadt zu orientieren und sich verständigen zu müssen – und den Umgang mit dem „komischen Geld“ zu praktizieren. Mit Blick auf die skeptische Sentenz “Life is what happens to you while you are busy making other plans” appellierte der Pädagoge an seine Absolventen, „mit Mut und offenem Herzen“ die Herausforderungen des Lebens anzunehmen.
Carmen Roßbach als Klassenlehrerin der R10b dankte einerseits den Eltern der R10b dafür, dass sie ihr nie Steine in den Weg gelegt hätten, und zum anderen ganz ausdrücklich auch Schulzweigleiter Marchewka, der ihr in stürmischen Zeiten immer wieder den Rücken gestärkt habe. Als pflegeleicht habe die Klasse gegolten, als sie sie übernommen habe. Wie sie sie später wahrgenommen habe, schilderte die Lehrerin anhand einer Fabel mit Frau Dachs, die die Tiere des Waldes zu sich einlädt und dabei sehr ernüchternde Erfahrungen sammeln muss: Da geht es um mangelnde Einsicht, um den Widerwillen zu teilen und um viele andere Aussetzer – bis hin zur Erkenntnis, dass es ohne Schmatzen einfach nicht schmecke. Andererseits habe auch schon Sokrates 400 Jahre vor Christus über den Sittenverfall der Jugend geklagt, über Widerworte den Älteren gegenüber, über Konsum- und Luxusorientierung -wie auch über das hemmungslose Verschlingen von Süßspeisen. Als Auslöser für den aktuellen Krisenmodus der Jugend identifizierte Frau Roßbach unter anderem Aspekte wie den Leistungsdruck in der Gesellschaft, teuren Wohnraum oder auch das Mobbing durch Digitalisierung, das seit Corona noch erheblich zugenommen habe. In diesem Zusammenhang reflektierte sie in einer sehr nachdenklichen und für Selbstkritik offenen Rede ihre Rolle als Lehrerin: Sie sehe sich eher als Begleiterin der Schüler, nicht als deren Bestimmerin. An den hohen pädagogischen Zielen, die sie sich einst gesetzt habe, halte sie nach wie vor fest: keinen Schüler zurückzulassen, Fehler als Chance zu begreifen, eine wertschätzende Atmosphäre zu schaffen, den Schülern Lernen durch Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. In ihrer Wahrnehmung sei Schule jedoch ein Ort, an dem zu viel auf Fehler und Defizite geachtet werde. Vielleicht aber hätte gerade ihre Klasse ein Mehr an Regeln und Strukturen benötigt. In diesem Sinne wolle sie sich bei all denjenigen entschuldigen, die ein solches Regime vermisst hätten. Mit dem Blick auf ihre Schüler stelle sie fest, dass die meisten von ihnen offen und tolerant seien, manch einer auch kreativ und sozial engagiert oder gar politisch interessiert. Daneben gebe es auch die „Digital natives“ und die künstlerisch Begabten, insgesamt einen bunten Strauß an Fähigkeiten und Talenten, die in der Schule oft leider keine Rolle spielten. In diesem Sinne forderte sie ihre Schüler dazu auf: „Nutzt euer Potential!“
Mit dem Ausruf „Game over!“ begann Christian Marchewka seine Abschlussrede, in der er die Welt der Computer-Spiele in verblüffender Weise mit den Sichtweisen von Schülern auf die Wirklichkeit verknüpfte: Da gebe es das Scheitern und den Tod der Spielfigur, das Hinauszögern von Entscheidungen und den Einsatz von Extra-Leben. Dann und wann müsse ein Spielstand abgespeichert werden, bevor es wieder zum nächsten Einsatz gehe. Die große Mehrheit der Schüler habe ihr Spiel erfolgreich durchgezogen und dabei so manchen Endgegner konfrontiert, zu denen sicher auch der Schulzweigleiter gezählt habe. Neue Level und neue Leben wurden erreicht. Als Add-on bestehe die Option auf die Oberstufe mit neuen Endgegnern, als neues Spiel die Ausbildung. Dort werde man auf andere Graphiken und neue Multiplayer-Spielformate treffen. Rückblickend könne man feststellen, dass viele gern zur Schule gekommen seien und ihren persönlichen Highscore erreicht hätten. Manchem sei die Schule spielend leichtgefallen, andere seien eher Spieler im negativen Sinne gewesen und hätten nur unregelmäßig mitgemacht. Dann sei die Zeit für ein neues Spiel gekommen und das alte gehöre in die Schublade, von wo man es aber auch wieder hervorholen könne.
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